Schlechte Nachrichten

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Warum Chat-Dienste nicht die Lösung für die Herausforderungen von Deskless Workern sein können

Schon seit einiger Zeit werden Kommunikationsplattformen wie Slack, MS Teams, Yammer zu Rettern der Produktivität am PC-Arbeitsplatz überhöht. Sie gelten als natürliche Nachfahren der ungeliebten E-Mail, die endlich eine offene Kommunikation in unsere von Silos geprägten Organisationen bringen sollen.

Diese Chat-Dienste werden zunehmend auch bei jenen Mitarbeitern ins Spiel gebracht, die bislang sträflich vernachlässigt wurden, wenn es darum ging, Informationen und Hilfen mit modernen technischen Mitteln am Arbeitsplatz verfügbar zu machen: Die sogenannten “Deskless Worker” (oder auch “Frontline Worker”), also Mitarbeiter in den Fabrikhallen, den Service-Einheiten, auf den Verkaufsflächen, etc.

Die Überlegung: In einer Zeit, in der mobile Apps mittlerweile selbstverständlich sind und nahezu den gleichen Stellenwert haben wie ihre PC-Gegenstücke, muss es doch möglich sein, dass die Kollegen “da draußen” ihren Informationsbedarf ebenfalls über Nachrichtensysteme befriedigen können sollten. Und es wird erwartet, dass sich die Vorteile dieser Plattformen auch in der täglichen Arbeit der Deskless Worker positiv niederschlagen werden.

Dass dies leider doch nicht so selbstverständlich ist, zeigen wir im Folgenden. Und stellen dar, warum Messaging-Apps für Deskless Worker sehr viel weniger gut geeignet sind als für ihre Kollegen an den PC-Arbeitsplätzen.

Informationen sind flüchtig

Egal ob es sich um Slack, Yammer, WhatsApp, Kaizala, etc. handelt, alle Chat-Tools haben eines gemeinsam: Sie zeigen Unterhaltungen in einem langen Strom von Nachrichten zwischen zwei oder mehr Personen an.

Und jeder von uns hat es sicherlich schon erlebt: Wenn wir erst später zu einer Konversation dazustoßen, weil wir zwischendurch mit anderen Dingen beschäftigt waren, ist es sehr, sehr schwer, relevante Informationen herauszufiltern. Genauso schnell, wie die entscheidende Problemlösungsidee, oder Hilfe in einem Gespräch geäußert wurde, genauso rasch verschwindet sie auch direkt schon wieder einem permanenten Grundrauschen vieler weiterer Unterhaltungen.

Dieses Geschnatter ist letztlich aber genau das, wofür diese Tools entwickelt wurden. Nämlich als Möglichkeit für einen informellen Austausch in Echtzeit zwischen verschiedenen Personen. Als Methode, nachhaltig relevante Informationen mit anderen zu teilen, die nicht aktiver Teil des Gesprächs waren, ist das jedoch ein denkbar schlechter Ansatz.

Was für ihre Kollegen an den PC-Arbeitsplätzen mitunter bereits problematisch ist, wiegt für Deskless Worker umso mehr: Per Definition sind diese Mitarbeiter damit beschäftigt, die Maschinen in der Fabrikhalle einzustellen, Kundengespräche führen oder wichtige Wartungsarbeiten auszuführen. Da gibt es selten einen guten Zeitpunkt für einen Informationsaustausch in Echtzeit mit den Kollegen.

Informationen sind extrem schwer zu finden

Selbstverständlich besitzen Kommunikationsplattformen Suchmaschinen, die versprechen, dass die gesuchte Information aus einem Gespräch nur einen Klick in das Suchfeld entfernt ist. Aber ganz abgesehen davon, ob eine “Suche” wirklich immer der beste Weg ist, an relevante Informationen zu gelangen: Woher weiß man, ob das, was man sucht, überhaupt im System ist? Wie kann man verhindern, dass eine erfolglose Suche nicht wieder einen Gesprächsfaden aufmacht, der wiederum zu einem noch größeren Grundrauschen in den Chats führt?

Das ist insbesondere für neue Kollegen problematisch. Haben Sie schon einmal ein Internet-Forum betreten und eine Frage gestellt, die bereits irgendwann schon mal gestellt hatte? Die Hölle bricht los …. (“Benutze die Suche!!!”). Und wenn man dann die Suche nutzt, dann findet man doch nicht die relevante Information, weil man entweder die Terminologie des Teams nicht kennt, nicht weiß, wonach und wie man suchen soll, etc.

Und, ja, natürlich lassen sich Erkenntnisse in Dokumenten zusammenfassen und diese auf der Plattform ablegen. Aber diese werden, wie alle andere Dateien aus den vielen Gesprächen auch, in einem großen gemeinsamen Dokumentpool gesammelt. Das ist fast schon schlimmer als verschachtelte Ordnerstrukturen auf gemeinsamen Netzwerklaufwerken anzulegen, die von den Nutzern bitteschön durchstöbert werden sollen, um an die gesuchte Information zu kommen.

Deskless Worker, deren wertschöpfende Tätigkeit vor allem darin besteht, zeitkritische Probleme zu lösen und unvorhersehbare Situationen zu bewältigen, kämpfen eh schon mit der knappen Zeit, die sie für ihre Kerntätigkeiten haben. Frustrierende Suchen nach relevanten Informationen in Chat-Tools ist damit schlicht nicht vereinbar. Denn diese Kollegen benötigen die Information meist hier und jetzt.

Es gibt zu viele Kanäle

Sobald man Slack oder MS Teams benutzt, wird man sich sehr schnell in vielen verschiedenen Gruppen oder Kanälen wiederfinden. In jedem dieser Silos werden Gespräche geführt und Informationen geteilt.

Angenommen, diese Systeme wären die alleinige Informationsquelle. Um nun auf aktuellem Stand zu bleiben, müsste man jeder Konversation in jedem Kanal folgen. Das ist schon für PC-Mitarbeiter ein Problem, denn - wie oben dargestellt - fliegen die Informationen nur so dahin und poppen nur selten dann auf, wenn man sie benötigt.

Man versetze sich nun an die Stelle von Deskless Workern, die wahrlich besseres zu tun haben, als stets alle Kommunikationskanäle im Blick zu behalten.

Abgesehen davon: Vielleicht wird man sich noch sehr viel später daran erinnern, über ein bestimmtes Thema gesprochen zu haben. Aber an die wichtigen Details gelangt man wieder nur über eine Suche (s.o.) oder das direkte, wiederholte Nachfragen, was das Grundrauschen ebenfalls wieder erhöht.

Ein Chat ist unpraktisch für asynchrone Kommunikation

Wenn alle verfügbar sind, dann ist Echtzeitkommunikation fantastisch (auch wenn wir mittlerweile gelernt haben, dass die stete Ablenkung auch einen sehr negativen Effekt haben kann). Aber für asynchrone Kommunikation ist dies die denkbar schlechteste Variante und E-Mail erscheint dann plötzlich in einem viel besseren Licht.

Denn was tun, wenn man eine Antwort von einer Person benötigt, die gerade nicht verfügbar ist? Mit der Erwartung, dass sich die Person kümmert, sobald sie wieder frei ist, lässt man einfach trotzdem eine Nachricht da. Und hofft, dass sie zwischenzeitlich nicht bereits schon durch Nachrichten aus all den anderen Kanälen abgelenkt wurde.

Mit der alten, bewährten E-Mail mag noch eine Verbindlichkeit mitschwingen, nicht aber bei Systemen zur Echtzeitkommunikation. Unverbindlichkeit ist zugleich Stärke und Schwäche dieser Plattformen. Letzteres insbesondere dann, wenn man sich mit seinen Problemen alleine gelassen fühlt und nicht die erhoffte Hilfe bekommt. Dies wiegt noch viel schwerer bei Deskless Workern, da diese aufgrund ihrer Tätigkeit eh schon oft alleine auf sich gestellt sind.

Aber was ist mit Chatbots? Diese versprechen doch, dass man über ein simuliertes Gespräch doch auf Informationen zugreifen kann, selbst wenn kein Kollege verfügbar ist? Einfach noch ein wenig mit Künstlicher Intelligenz bestäuben und ein Chatbot liefert genau die Information, die man so sehnlich benötigt, nicht wahr?

Nicht wirklich. Abgesehen davon, dass AI wahrlich noch nicht so weit ist, wie es uns Softwareanbieter weismachen wollen, sind Chatbots auch nur Teil eines Nachrichten-Interfaces. Mit all den oben genannten Nachteilen. Und man muss zusätzlich in einer Art kommunizieren, die der Chatbot auch versteht bzw. kryptische Befehle für Powerfeatures kennen. Und während man sich damit abkämpft, fragt man sich: Was war noch mal der Vorteil der Chatbots zu einer klassischen Sucheingabe?

Aber es gibt doch Integrationen, richtig?

Natürlich sind sich auch Slack, Microsoft, etc. bewusst, dass ihre Plattformen nicht alle Einsatzszenarien abdecken können. Sie weisen mitunter selber recht offensiv darauf hin, dass ihre Plattformen nur ein Teil des großen Ganzen sein können.

Um ihre Verbreitung aber dann doch zu vergrößern und noch unentbehrlicher zu sein, öffnen sie ihre Plattformen für Lösungen von Drittanbietern. Diese sind dann in der Lage, weiterführende oder speziellere Einsatzszenarien abzubilden, die die Kernplattformen bewusst oder unbewusst vernachlässigen.

Aber auch diese Erweiterungen sind immer Teil eines Systems, welches den Austausch von Nachrichten in das Zentrum stellt. Mit all den damit einhergehenden, oben genannten Problempunkten.

Also weg mit den Kommunikationsplattformen?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir sind selber begeisterte Nutzer von MS Teams und ähnlichen Kommunikationstools. Sie sind eine sinnvolle Erweiterung, um mit entfernten Teams zusammenzuarbeiten und um wichtige Dinge auf direktem Wege klären zu können. Das haben alle spätestens seit der Corona-Krise festgestellt. Es ist einfach nur ganz wunderbar zu sehen, wie wenig E-Mail heutzutage noch notwendig ist.

Aber kann der Austausch von Nachrichten wirklich jedes (!) Problem am Arbeitsplatz lösen und insbesondere Deskless Worker besser unterstützen, wie zunehmend versucht wird? Wir sagen: Nein.

Kommunikationsplattformen sind designt für den informellen Austausch von Nachrichten. Wenn man sie mit vollem Bewusstsein der Nachteile dort einsetzt, wo sie Mehrwert bringen, großartig! Problematisch wird es spätestens aber dann, wenn diese Systeme Probleme lösen und Einsatzszenarien unterstützen sollen, für die sie schlicht nicht gedacht sind. Und vor allem im Umfeld der ganz eigenen Herausforderungen und Problemen von Deskless Workern sollte man sehr genau prüfen, ob Echtzeitkommunikation der einzige Kanal zum Austausch von Informationen und Wissen sein kann.

Pascal GuderianComment